Bild: Thomas Grabka

Mehr als im Kalten Krieg stehen nun im Globalen Kalten Frieden die freiheitlichen Länder unter enormem Druck. Demokratiefeinde sind auf dem Vormarsch – in Putins aggressivem Zarenreich, in China, im totalitären Nordkorea und in den islamistischen und despotischen Diktaturen des Nahen Osten sowieso.

Die starke Demokratie in den USA ist angeschlagen. Auch in Deutschland, wie in Österreich, Polen, Ungarn und in den Niederlanden, breitet sich ein national-populistischer Egoismus aus, der dem Grundgedanken des weltoffenen und einigen Europas gegenübersteht. Die ehrwürdige Demokratie England sucht neuerdings wieder ihr Heil im Inselglück.

WOLF BIERMANN wie ULRICH GUMPERT und GÜNTER BABY SOMMER vom ZENTRALQUARTETT haben die Verachtung demokratischer Grundwerte in einer Diktatur, den Gesinnungsterror und das Gift der Indoktrination jahrzehntelang erlebt. Mit diesen Erfahrungen wenden sie sich auch an die junge Generation, die im vereinten Europa aufgewachsen ist. Unter dem Motto: »DEMOKRATIE FEIERN – DEMOKRATISCH WÄHLEN!« starten die Künstler mit einer Reihe von Konzerten vor der Bundestagswahl eine Kampagne. Sie wollen eine hohe Wahlbeteiligung fördern und rufen dazu auf, nur wahrhaft demokratische Politiker zu wählen, um den totalitären und fremdenfeindlichen Tendenzen zu widerstehen. Es gilt ihnen die mutige Vielvölker-Vision des konservativen Demokraten Winston Churchill aus dem Jahre 1948 zu verteidigen: Die Vereinigten Staaten von Europa.

 

Und warum Jazz?

»INDIVIDUELL LEBEN – IM TEAM ZUSAMMEN SPIELEN«
oder »SOLIST SEIN UND GRUPPENDYNAMISCH AGIEREN«.

So oder ähnlich könnte in Erweiterung und Abwandlung das Thema unserer Demokratiekonzerte auf das interaktive Zusammenspiel von Jazzmusikern übertragen werden.

Die Jazzmusik ist seit ihren ersten Anfängen in den 1920er Jahren in New Orleans eine demokratische Form gemeinsamen Musizierens mit dem Ziel, ein für alle beteiligten Musiker vertretbares Ergebnis zu erarbeiten. Jeder noch so gute Solist bringt dabei seine individuellen Fähigkeiten in den Gruppenkontext ein. Demokratisch verhält sich dabei auch das Ensemble, wenn es die  einzelnen Solisten in jeweils passenden Momenten zu Wort – respektive zum Solo kommen läßt.

Demokratie leben heißt hier Demokratie erklingen lassen, und demokratisch wählen heißt in diesem Zusammenhang, einen geeigneten Solisten für eine bestimmte Stelle im Stück auszuwählen.

Oft wählt die Band noch einen Bandleader aus, weil er bestimmte organisatorische oder herausragende musikalische Fähigkeiten besitzt. In größeren musikalischen Vereinigungen gibt es dann noch einen Orchesterbeirat usw. All diese Merkmale zielen auf eine demokratische Staatsform en miniature ab. Selbst in den ungebundenen zeitgemäßen Spielformen des Freien Jazz spielen demokratische Kriterien eine große Rolle. Freie Musik toleriert nicht nur, sondern sie ist die freie Rede und Gegenrede. Das Ergebnis entspricht dann einem Konsens von beidem.

Wenn wir frei improvisierenden Musiker nun im Vorfeld freier demokratischer Wahlen zum nächsten Bundestag mit Wolf & Pamela Biermann auf Konzerttour gehen, möchten wir ein wenig klingende Demokratie auf der Bühne praktizieren. Man mag sich fragen wie das gehen soll, wo doch zum größten Teil feststehende Lieder mit Texten und Melodien im Programm stehen. Hierzu kann ich sagen, daß die praktizierte Demokratie schon in den Proben stattgefunden hat, wo wir im Ensemble die Stücke mit den künstlerischen Vorschlägen aller Beteiligten erarbeitet haben und nun den oben beschriebenen Konsens zu Gehör bringen können. Es sind sechs Künstler auf der Bühne, es waren sechs Stimmen, die bei den Proben diskutiert, gestritten und Vorschläge gemacht haben, es wurden die Brauchbarsten ausgewählt –  und die kann man heute hören!

So funktioniert Demokratie, wenn sich alle beteiligen.

Günter Baby Sommer, August 2017